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martes, 19 de abril de 2022

Frühwarnstufe ausgerufen - Diese Industrien würde ein Gas-Lieferstopp am härtesten treffen

B. Fröndhoff, K. Knitterscheidt und K. Stratmann (Handelsblatt 30.3.2022)


Drohende Versorgungsengpässe beim Gas alarmieren die Wirtschaft. Für viele Unternehmen wäre ein Lieferstopp aus Russland existenzbedrohend.


Düsseldorf, Berlin Die energieintensive deutsche Industrie warnt eindringlich vor einem möglichen Lieferstopp für russisches Erdgas. Selbst eine Rationierung könnte zu Produktionsausfällen führen, die Folgen für die gesamte verarbeitende Industrie in Deutschland hätten, erklären Manager etwa aus der Chemieindustrie. Wo viel Gas als Energieträger und Rohstoff gebraucht wird, droht Unternehmen bei Einschränkungen das Aus.


Am Mittwoch hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun die „Frühwarnstufe“ des sogenannten Notfallplans Gas ausgerufen und damit die Wirtschaft vor einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgung gewarnt. 


Diese Branchen würde ein Lieferausfall oder eine Rationierung am stärksten treffen:


1. Chemiebranche: „Herz der deutschen Wirtschaft“


Für Christian Kullmann ist die Chemieindustrie das „Herz der deutschen Wirtschaft“. In diesem Satz des Evonik-Chefs und Präsidenten des Chemieverbands VCI vom Mittwoch steckt eine Warnung: Wenn es nicht mehr schlägt, hat das gravierende Folgen für alle Branchen. Und das ist bei einem Ausfall von Gaslieferungen in die Branche ein realistisches Szenario.

Die deutsche Chemie bezieht 45 Prozent ihres Energiebedarfs direkt aus Erdgas, ein weiterer großer Teil entfällt auf Strom, der zum Teil ebenfalls mit Gas hergestellt wird. Das BASF-Stammwerk in Ludwigshafen ist der weltgrößte Chemiekomplex überhaupt und der größte Gasverbraucher in der deutschen Industrie.


Dort zeigt sich das Dilemma der ganzen Industrie: In Ludwigshafen sind praktisch alle Anlagen miteinander vernetzt. Fällt eine Produktionslinie aus, liegen in der Folge andere ebenfalls brach. Wird die Chemie nicht mehr mit ausreichend Gas versorgt, müssten Hunderttausende Mitarbeiter und in der gesamten deutschen Wirtschaft möglicherweise Millionen Menschen auf „Kurzarbeit null“ gesetzt werden, warnt Kullmann.


Besonders dramatisch ist die Situation bei Düngemitteln für die Landwirtschaft. Bei dessen Vorprodukt Ammoniak entfallen 80 Prozent der Kosten auf Erdgas, da dies nicht nur zur Befeuerung der Anlagen, sondern auch als Rohstoff eingesetzt wird. Die Produktion kann nicht beliebig tief gesenkt werden, es droht auch schon bei einer Gasrationierung das komplette Herunterfahren.


2. Metallindustrie: Lieferketten drohen durch Gas-Embargo abzureißen


Der deutschen Stahl- und Metallverarbeitungsindustrie würde ein Stopp der Gaslieferungen weitgehend die Geschäftsgrundlage entziehen. Der Energieträger wird gebraucht, um etwa Öfen zu beheizen, die für die Umformung von Metallen benötigt werden, oder als Reduktionsmittel für die Umwandlung von Eisenerz zu Eisenschwamm, der in einem Elektroofen zu Stahl geschmolzen wird.


Für die Produktion von rund 40 Millionen Tonnen Stahl werden in Deutschland jährlich rund 2,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht. Bereits kurz vor dem Ukrainekrieg hatte die Wirtschaftsvereinigung Stahl prognostiziert, dass der Branche durch die gestiegenen Energiepreise Mehrkosten in Höhe von 1,7 Milliarden Euro bevorstehen.


Komme es allerdings zu einer kompletten Abschaltung, seien „Produktionsunterbrechungen, Kurzarbeit und gegebenenfalls Beschäftigungsverluste“ zu erwarten, warnt etwa Hans-Jürgen Kerkhoff, Präsident der WV Stahl. Folgen hätte das auch für viele andere Industriezweige, in denen Stahl und weiterverarbeitete Metallprodukte benötigt werden. Sie müssten damit rechnen, dass Lieferketten abreißen, weil nicht ausreichend Vormaterial zur Verfügung steht.


„In der Gesamtschau drohen dauerhafte Arbeitsplatzverluste und gravierende wirtschaftliche Schäden“, so Kerkhoff. Alternative Energieträger gibt es nicht: Bis Erdgas in der Metallindustrie beispielsweise durch grünen Wasserstoff ersetzt werden könne, dauere es noch bis mindestens 2030, so der Verband.

3. Glasproduktion: Gasausfall könnte Anlagen zerstören


Auch in der Glasindustrie ist Erdgas der wichtigste Energieträger. Eine Unterbrechung der Versorgung hätte fatale Folgen: In einer Glaswanne, in der Glasscheiben für den Auto- oder Bausektor produziert werden, befinden sich etwa 400 Tonnen flüssiges Glas.


Ohne Energiezufuhr erstarrt das Glas und die Anlage wird irreparabel zerstört. „Ein Wiederaufbau würde eher Jahre als Monate dauern und hohe Kosten verursachen“, heißt es beim Bundesverband Flachglas, dem 80 Unternehmen mit über 180 Betriebsstätten angehören.


Würde die Produktion von Flachglas unterbrochen, wären davon andere Branchen betroffen: Die Autoindustrie könnte dazu gezwungen sein, ihre Bänder anzuhalten, weil ihr die Scheiben fehlen. Auch die Produktion von Fenstern wäre betroffen. Dabei ist der Austausch von Fenstern ein zentraler Bestandteil der Bemühungen, die Energieeffizienz im Gebäudesektor zu steigern.


Die Branche betont, Gas sei kurzfristig nicht durch einen anderen Energieträger ersetzbar. Es sei daher für die Glashersteller essenziell, dass die Versorgung aufrechterhalten werde.


Während viele Branchen zumindest theoretisch die Möglichkeit haben, von Erdgas auf andere fossile Brennstoffe umzustellen, ist die Keramikindustrie in einer schwierigeren Lage. Sie hat schlicht keine Alternative. Zumindest dann nicht, wenn man die üblichen Anforderungen an das Material zugrunde legt: Nach heutigem Stand der Technik sei die Herstellung von reinweißem Porzellan ohne Erdgas nicht möglich, erklärte der Werkstoffforscher Stefan Link schon vor drei Jahren in einem Gutachten.


Ein Lieferstopp würde „zur weitgehenden Einstellung der Produktion führen“, heißt es beim Bundesverband der Keramischen Industrie. Während eine Unterbrechung der Produktion von Kaffeetassen und Waschbecken verkraftbar erscheint, wären die Folgen bei anderen Produktgruppen der Branche gravierend: Die Unternehmen sind wichtige Lieferanten für die Medizintechnik oder beispielsweise für Isolatoren, die die Elektroindustrie benötigt.


Die Feuerverzinker in Deutschland, die mit ihren Anlagen Stahl vor Korrosion schützen, betreiben ihre Anlagen zu 95 Prozent mit Erdgas. Eine Umstellung auf andere Energiequellen ist in den meisten Fällen kurzfristig nicht möglich. Eine Unterbrechung der Gasversorgung könnte auch hier schwerwiegende Folgen haben: Eine Verzinkungsanlage kann nicht einfach abgeschaltet werden, das Zink muss permanent auf Temperatur gehalten werden.


Eine durchschnittliche Verzinkungsanlage hält rund 250 Tonnen Zink bei einer Mindesttemperatur von 420 Grad Celsius flüssig. Bricht die Gasversorgung zusammen, dann erhärtet das Zink, und es entsteht erheblicher Schaden. Um das zu verhindern, muss der Kessel ausgepumpt und das Zink in Sicherheit gebracht werden. Der Aufwand ist immens.


Die Unternehmen der Branche setzen alles daran, von Abschaltungen verschont zu bleiben. Ob das gelingt, ist im Moment nicht absehbar. In Deutschland gibt es rund 150 Unternehmen in der Branche. Verzinkter Stahl ist aus dem Alltag kaum wegzudenken. Er findet im Fahrzeugbau Verwendung oder wird für Balkongeländer und Hausfassaden eingesetzt.

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